Was wäre, wenn wir den Verein als Baukastensystem betrachten? Dann gibt es dort Bausteine, die nach unterschiedlichen Gesichtspunkten oder auch Erfahrungswerten zusammengesetzt werden können. Wenn wir uns an unsere Kindheit erinnern, dann spielt hier jede Menge Kreativität eine Rolle. Manchmal haben wir das Bauwerk bereits im Kopf und manchmal entsteht es beim Bauen. Es entwickelt sich mit jedem Baustein.
Mit einem Verein ist es nicht anders. Jeder Verein ist wie ein Baukastensystem mit Bausteinen. Die Bausteine sind Teile, die wir je nach Bedarf neu zusammensetzen können.
Doch wir müssen nicht immer alles verändern. Das Rad wurde bereits erfunden. Somit brauchen wir es nicht noch mal erfinden. Was wir jedoch machen können, ist, das „Rad“ zu optimieren, anpassen, besser machen. Je nachdem welchen Bedarf bzw. organisatorischen Schmerz wir verspüren, bringen wir verschiedene Bausteine ins Spiel.
Immer wenn der organisatorische Schmerz stärker wird, kommt die Frage: Struktur oder Regeln – Was darf es denn sein?
Engagement
Wenn sich Menschen einem Thema widmen, entstehen Aufgaben. In einem Verein sind es viele Aufgaben. Diese unterscheiden sich kaum von denen in Unternehmen. Doch ein wesentlicher Unterschied ist der Einsatz von Zeit und Ressourcen.
In vielen Vereinen engagieren sich Menschen ehrenamtlich. Sie investieren ihre persönliche Zeit und bringen oft Material oder Geld mit ein.
Doch insbesondere die zeitlichen Kapazitäten sind bei uns allen begrenzt. Je aktiver oder größer ein Verein wird, desto mehr Zeit nehmen die Aufgaben in Anspruch. Und genau hier nimmt bei vielen Vereinen der Zeit und Kräfte fressende Kreislauf seinen Lauf.
Es sind oft immer dieselben Menschen, die sich engagieren. Es sind immer dieselben Gesichter, die sich für den Verein stark machen. Es sind aber auch diejenigen, die nach weiteren Menschen suchen, um die wertvolle Arbeit auf breiteren Schultern zu verteilen.
Es gibt zwei Phänomene:
Phänomen Nummer 1
In dem Moment, in dem eine Person in ein Präsidium oder Vorstand gewählt wird, ist es deren Job, sich um die Vereinsaufgaben zu kümmern. Viele Mitglieder sehen das so. Dabei ist und bleibt eine Person mit Vorstandsaufgaben weiterhin ein ganz normales Mitglied. Nicht mehr und nicht weniger.
Es ist nicht deren Job. Sie haben eine Rolle übernommen und tragen Verantwortung für einige Aufgaben. Nicht für alle. Der Unterschied zu einem echten Job ist sehr deutlich, weil es keine vertraglichen Regelungen gibt.
Stellen Sie sich vor, Sie würden eine Person einstellen, die die Geschäftsleitung für Ihren Verein hauptamtlich übernimmt. Dann würden Sie viele Details regeln und die Finanzen zur Verfügung stellen müssen. All das ist bei einem Ehrenamt nicht gegeben.
Phänomen Nummer 2
Im Vorstand werden viele Dinge diskutiert und sich Gedanken über die Weiterentwicklung des Vereins gemacht. Jedoch wird bei den ganzen Diskussionen oft vergessen, die Mitglieder einzubinden.
Die regelmäßigen Mitgliederversammlungen reichen nicht aus, um eine emotionale Verbundenheit herzustellen. Oft sind die Mitgliederversammlungen sehr schlecht besucht. Warum ist das so? Stellt euch die Frage doch einmal selbst?
Wie ist das für dich, wenn die Mitgliederversammlung langatmig und trocken ist? Dann macht es keinen Spaß, daran teilzunehmen.
Wie wäre es, wenn die Mitgliederversammlung wie ein großes Familientreffen wäre? Die Menschen freuen sich auf das Wiedersehen. Tauschen sich aus und diskutieren miteinander. Sie erleben eine wertvolle gemeinsame Zeit. Sie sind miteinander verbunden.
Diese zwei Phänomen zeigen, dass die Verbundenheit verloren geht, wenn aus einem Netzwerk eine Hierarchie entsteht. Das ist leider auch außerhalb von Vereinen anzutreffen. Nur weil bestimmte Rollen eine gewisse Verantwortung mit sich bringen, heißt das nicht, dass sich die Menschen voneinander distanzieren müssen.
Struktur oder Netzwerk
Aus den zwei Phänomenen lassen sich sehr oft zwei Entwicklungen beobachten.
Erste Beobachtung:
In Vereinen, in denen das Hierarchiedenken sehr ausgeprägt ist, läuft wenig bis nichts ohne den Vorstand. Das bedeutet, dass sämtliche Aufgaben, Regelungen und Anweisungen durch den Vorstand erfolgen. Wenn der Umfang der Aufgaben zunimmt, werden Satzungen geändert, um den Vorstand zu vergrößern.
Damit wird die Legitimation geschaffen, dass Aufgaben offiziell übernommen werden dürfen. Der organisatorische Schmerz, der eine Veränderung verlangt, führt zu einer Veränderung der offiziellen Strukturen. Entwicklungen werden somit vom Vorstand aus initiiert. Das kann sehr hilfreich sein. Es ist jedoch keine Garantie, dass sich Menschen für die neuen Vorstandspositionen finden lassen.
Zweite Beobachtung:
In Vereinen, in denen eher eine Form von Selbstorganisation anzutreffen ist, werden Entscheidungen und notwendige Regelungen dort getroffen, wo es nötig ist. Das bedeutet, dass nicht erst der formelle Weg zum Vorstand eingeschlagen wird. Entscheidungen werden von Personen getroffen, die die entsprechende Rolle übertragen bekommen haben oder selbst einnehmen. Die Struktur lässt sich eher als ein Netzwerk verstehen und der Vorstand ist ein zentraler Knotenpunkt im Netzwerk. Der Vorteil besteht darin, dass es viel leichter ist, Menschen zu gewinnen, die Aufgaben übernehmen können. Es besteht damit eine generelle Legitimation für die Übernahme von Aufgaben.
Das bedeutet jedoch nicht, dass der Vorstand seine Aufgaben nach §26 BGB ins Netzwerk abgeben kann. Entwicklungen werden dort vollzogen, wo der Bedarf besteht. Das erfordert jedoch klare Regeln. Wollen wir so arbeiten und dürfen wir das? Wo sind die Grenzen? Hier sind eine klare Kommunikation und regelmäßige Reflexion unabdingbar. Regeln sind auszuhandeln und regelmäßig zu hinterfragen.
Der große Vorteil besteht darin, dass ein Verein viel flexibler agieren kann, ohne Satzungen ändern zu müssen und Aufgaben können auf viele Schultern verteilt werden.
Struktur oder Regeln – Was darf es denn sein?
Grundsätzlich gibt es kein Patentrezept, was für alle passt. In der Regel ist es immer eine Kombination von Strukturen und Regeln. Die Frage ist, was du daraus machst.
Meine Empfehlung lautet daher: Nutze Strukturen als wichtiges und formelles Fundament. Betrachte den Vorstand mehr als Team und weniger als Gruppe mit gewählten Funktionen. Auf dem strukturellen Fundament beginnt das Netzwerk. Dieses setzt sich zusammen aus den Vereinsmitgliedern. Das Vorstandsteam ist ein wichtiger Knotenpunkt im Vereinsnetzwerk.
Ein gut funktionierendes Netzwerk pulsiert. Informationen und Idee gehen in viele Richtungen. Stell dir einfach ein Spinnennetz in der Sonne vor. Vielleicht sind noch ein paar Tropfen vom morgendlichen Tau zu sehen und spiegeln das Licht. Was passiert, wenn du an einer Stelle ganz leicht zupfst? Genau: Alles beginnt zu schwingen. An einer Stelle stärker, an einer anderen Stelle weniger.
So ist es auch in einem Netzwerk. Alles und alle sind miteinander verbunden. Ein Verein ist ein Netzwerk mit vielen Menschen. In der Praxis ist es oft so, dass einige Verbindungen beschädigt oder verloren gegangen sind. Dadurch ist die Verbundenheit stark geschwächt. Teilweise werden parallele Verbindungen geschaffen, die mit dem ursprünglichen Netzwerk nur noch sehr schwach verbunden sind.
Wenn das nun im Verein so ist, dann ist es kein Wunder, dass die Informationen nicht ankommen. Dazu gehört auch, die Suche nach weiteren engagierten Menschen. Woher soll ich wissen, dass ich helfen kann, wenn mich diese Information nicht erreicht? Wie kann ich mich melden, wenn ich nicht weiß wo? Eine stark verschachtelte Struktur macht es auch nicht besser.
In einem lebendigen Netzwerk mit intakten Beziehungen laufen die Informationen und die Kommunikation immer in beide Richtungen. Es ist niemals eine Einbahnstraße. Somit ist auch Engagement keine Einbahnstraße.
Mein Appell…
Mein Appell an die Menschen in den Vorständen: Vergesst nicht, eure Mitglieder einzubeziehen. Fragen Sie nach deren Meinung. Tut das aber bitte nur, wenn ihr es auch ehrlich meint. Nach einer Meinung zu fragen und diese am Ende komplett zu ignorieren, wird genau das Gegenteil erzeugen. Die Verbundenheit ist dahin und somit auch potenzielle Unterstützer für den Verein.
Oft haben die Menschen in den Vereinsgruppen, die besten Ideen. Warum? Weil sie merken und spüren, dass einen Bedarf für Veränderungen vorhanden ist. So haben sie in dem meisten Fällen auch gleich ein paar Ideen entwickelt, wie es besser sein kann.
Wer nicht fragt der nicht gewinnt. Erst recht keine Verbundenheit.
Mein Appell an die Mitglieder: Ein Verein funktioniert nur, wenn sich möglichst viele Menschen engagieren. Je mehr es sind, desto weniger Zeit binden die Vereinsaufgaben. Bring dich ein. Gestalte deinen Verein. Nutze die Möglichkeit herauszufinden, welche Talente in dir schlummern.
Sehe den Vorstand als einen Knotenpunkt im Vereinsnetzwerk. In diesem Knotenpunkt laufen viele Dinge zusammen. Suche nach einem thematischen Ankerpunkt, mit dem du dich in dieses pulsierende Netzwerk einklinken kannst.
Mein Appell an alle:
Werdet Teil eines Netzwerks. Gemeinsam mehr erreichen.
Pingback: Über Vereine – Ein Bloggespräch mit Falk Golinsky | Annette Schwindt